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Eine Nachricht von

filippas Mutter gabriela

Bewältigung
Als ich 2006 gefragt wurde, ob ich bei einer Podiumsdiskussion ein Kurzreferat zum Thema „Neustart statt Absturz“ halten könne, wollte ich eigentlich ablehnen. Über den Schmerz, den wir nach dem Tod unserer Tochter Filippa verspürt haben, wollte ich nicht sprechen und einen erwähnenswerten Neustart sah ich auch nicht. Ich ließ mich dann doch überreden und während ich über das Thema nachdachte, merkte ich, wie viel sich in den letzten Jahren durch Filippas Tod bei uns verändert hatte.

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Eine glückliche Familie

Wir waren eine glückliche Familie, mein Mann und ich und unsere sieben Kinder. Natürlich gab es Probleme, jede Familie hat Probleme. Es ging uns aber trotzdem gut, – was wir vielleicht nicht immer realisiert haben. Unser Glück waren unsere Kinder, alle wohlauf, die Großen mit guten Berufsaussichten, die Kleinen noch zu Hause in der Schule und mittendrin Filippa. Sie hatte gerade ihre Ausbildung als Fotografin in Florenz abgeschlossen, ihren Traummann gefunden und ihn zu Hause in Sayn geheiratet.

Gabriela zu Sayn-Wittgenstein-Sayn

Filippas Pläne

Vor der Hochzeit war sie noch einmal für einen Monat zu Hause. Eine wunderbare Zeit. Eine Zeit, in der wir uns sehr nahe waren. Wir sprachen viel, vor allem über die Zukunft. Filippa erzählte von Vittorio, ihren gemeinsamen Plänen und von dem großartigen Angebot, als Assistentin eines er-folgreichen Fotografen zu arbeiten.

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Filippas Ableben

Am 30. September, wir waren gerade aus der Sonntagsmesse zurück, erfuhren wir, dass wir unsere Tochter nicht mehr lebend sehen würden. Ich kann nicht beschreiben, was in uns, meinem Mann und mir, vorging, was in unserem Schwiegersohn und unseren Kindern vorging. Ich weiß nur, dass wir ohne einander zugrunde gegangen wären. Wir haben gemeinsam geweint und gebetet, waren verzweifelt, haben nach dem "Warum" gefragt, konnten es einfach nicht glauben.

Unser Cousin Johannes Eltz, heute Stadtdekan in Frankfurt, kam sofort nach Sayn, als er von Filippas Tod erfuhr, um uns zu trösten. Ich weiß noch, wie er mich umarmte und sagte: "Versprechen Sie mir, nicht nach dem Warum zu fragen?" Es macht einen einfach verrückt, weil es keine Antwort gibt. Dann sagte er: "Vielleicht bekommst du eines Tages eine Antwort auf die Frage 'Wozu?'.

Unsere Familie rückte noch enger zusammen, jedes der Kinder bemühte sich, auf seine Weise zu helfen, und wenn eines schluchzend zusammenbrach, tröstete das andere. Wir brauchten uns gegenseitig, mein Mann und ich, die Kinder und wir. Mehr denn je wurde uns bewusst, wie wichtig eine Familie in so einer schweren Zeit ist, wie viel Kraft sie einem gibt. Immer wieder gab es Zusammenbrüche, Abstürze, wie wir sie nannten. Wir alle vermissten Filippa so schmerzlich.

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Die Tagebücher

Kurz vor Weihnachten fanden wir Filippas Tagebücher. Zuerst hatten wir große Scheu, sie zu lesen. Als wir jedoch die Aufforderung Filippas „do read this“ fanden, warfen wir einen zweiten, zaghaften Blick in die Bücher. Ich begann damit, meinem Mann ein paar Eintragungen vorzulesen. Wir weinten, lachten, fühlten uns unserer Tochter ganz nahe. Später kopierten wir einige Texte für Vittorio, die Geschwister und meine Schwiegermutter. Alle waren ergriffen, aber auch glücklich, und jeder erinnerte sich an Begebenheiten, die beschrieben waren.

Irgendwann, etwa ein Jahr nach Filippas Tod, kam der Gedanke auf, Filippas Tagebücher zu veröffentlichen. Wir diskutierten ausführlich in der Familie, ob wir das wirklich durften? Nach manch anfänglichem Zweifel waren schließlich alle dafür, das, was Filippa uns hinterlassen hatte, mit anderen zu teilen.

Mit dem Don Bosco Verlag und Pater Friedrich an der Spitze fanden wir einen Verleger, der unsere Intention verstand. Eine sehr arbeitsreiche Zeit begann. Die Texte mussten ausgewählt und abgeschrieben werden. Es war oft so, als ob Filippa neben uns säße und die Texte diktierte. Sie hatte uns die Arbeit gut vorbereitet, hatte ihre Tagebücher selbst schon Korrektur gelesen. Die Dinge, die sie nicht gelesen haben wollte, hatte sie unleserlich gemacht, andere mit Kommentaren versehen. Wir mussten schmunzeln, lachen und weinen. Was für eine Tochter.

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Ein Bestseller

Das Buch stürmte sogleich die Bestsellerliste und bald darauf erhielten wir viele Briefe von Menschen, die uns von ihrem Schicksal erzählten. Wie oft musste ich beim Lesen an Filippas Worte denken. „Greif nicht nach den Sternen, sondern begreife wie gut es Dir geht“. Und im Vergleich zu vielen Menschen geht es mir wirklich gut. Ich habe einen liebevollen Mann, sechs großartige Kinder und mit unserem Schwiegersohn noch ein siebtes dazubekommen. Außerdem durfte ich 21 Jahre lang Filippas Mutter auf Erden sein.

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Die Stiftung Filippas Engel

Wir, Filippas Freunde und Familie, die in der Stiftung aktiv sind, möch-ten den jungen Menschen danken und sie ermuntern, in ihrem segensreichen Tun fortzufahren. Sie zeigen uns, wie wunderbar die Jugend von heute ist, dass sie sich engagiert und das Herz auf dem rechten Fleck hat.

Auch heute noch geht morgens mein erster Gedanke zu Filippa, meis-tens nur voller Dankbarkeit, doch immer wieder packt mich auch die Wehmut. Und wenn ich an all das Gute denke, das durch Filippa und ihr Tagebuch entstanden ist, und in die strahlenden Gesichter der jungen Menschen schaue, wenn sie "Filippas Engel" in den Händen halten, dann denke ich, dass dies vielleicht eine Antwort auf die Frage ist: Wozu?

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