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Meine Schwester Filippa

"Ich will Konzepte entwerfen, Ideen haben, mich wissenschaftlich fortbilden in Kunstgeschichte, Medizin, Meeresbiologie. Ich will Weinbau und Sprachen erlernen, reisen, Philosophien erkunden, den Tag nutzen, ihn nicht wegwerfen, mein geistiges Potenzial so gut es geht ausschöpfen, dabei leben, in vollen Zügen, die Natur erkunden, helfen, beten, meine Seele nähren, mich verlieben, frei sein, unabhängig sein, heiraten, Kinder bekommen, mein Leben nutzen, anderen damit nutzen, Geschichte werden, Ruhe finden, in Ruhe leben, viel unternehmen, sehen, von mir weitergeben.“

Es sind große Worte und Vorsätze, die meine Schwester Filippa in ihren Tagebüchern eintrug. Sie sprühte vor Energie, war voller Tatendrang und Lebensfreude. Doch gleichzeitig war sie auch ein typischer, selbstkritischer und mit sich unzufriedener Teenager: „Ich bin fett, verpickelt, faul, chaotisch, dümmlich, emotional, irrational, unvernünftig, disziplinlos, schüchtern. Aber auch anders.“

Aber auch anders. Das stimmt. Filippas Wesen war facettenreich, bestehend aus einer fantastischen Kombination von Bescheidenheit, Humor, Wissbegierde, Hilfsbereitschaft und der Fähigkeit zuzuhören. Obwohl sie sieben Jahre jünger war als ich, entwickelte sich Filippa mit zuneh-mendem Alter von einer kleinen Schwester zu einer großen Hilfe und ernstzunehmenden Ratgeberin.

Alexandra Countess Hunyady

Erlebnisse mit Filippa


Nach meinem Abitur ging ich 1992 nach Brüssel, um ein Praktikum bei der Europäischen Union zu machen. Filippa war damals 12 Jahre alt und kam mich dort öfters besuchen. Zusammen hatten wir viel Spaß, sind gemeinsam ausgegangen, haben getanzt und gefeiert. Trotz dieser kurzen Nächte, besuchten Filippa und ich tagsüber Museen und Kirchen - nicht nur, um unsere Eltern glücklich zu machen. Filippa war an allem sehr interessiert, kannte sich gut aus und stellte viele Fragen.

 

Sie liebte es, auf Reisen zu gehen, war fasziniert von verschiedenen Kulturen und Religionen. Und mit unserem Vater teilte Filippa die Liebe zur Natur. Sie ging mit ihm gerne auf die Jagd. Oft machten wir gemeinsam lange Spaziergänge. Filippa beobachtete dabei immer die Schönheit der Natur bis ins letzte Detail, etwas, was sicherlich wichtig für ihren späteren Beruf als Fotografin war. Filippa war sehr stolz auf ihre Familie und liebte ihre Heimat: ihr Sayn.

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Geliebt hat Filippa auch das Lachen – besonders über sich selbst. Sie hatte einen einzigartigen Humor, liebte Kokolores, erfand mit unserer Schwester Sofia eine eigene Sprache und ahmte viele Dialekte nach, die sie dann auch mit Fremdsprachen mischte.

Neben der lustigen Filippa erlebten wir manchmal auch eine grantige oder motzige Schwester, die auf ihren kleineren Geschwistern rumhacken konnte.

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Filippas Werte

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Dann gab es wiederum eine sehr bescheidene und dankbare Filippa. Sie war tief religiös – etwas, das sie aber nie raushängen lies, sie empfand es als richtig und wichtig für sich selbst, respektierte aber genauso andere Meinungen oder Religionen. Während des Krieges 1999 auf dem Balkan schrieb sie ins Tagebuch: „Will tun, was Gott mit mir vorhat, und immer dankbar sein für das, was ich habe. Danke. Auch und besonders, dass ich mich soo freuen darf, wo andere um alles, was sie haben, weinen, weil sie es vielleicht von nun an hatten und ihnen nur noch die Erinne-rung bleibt. Hoffentlich war ihre Erinnerung schön und spendet ihnen Trost, so dass die Menschen hoffen können, eines Tages wieder so glücklich zu sein, beim Kuchenbacken, Kühe melken, Kinder im Arm halten, etwas haben, um es behalten zu dürfen... und Dan-ke sagen zu können und dürfen. Danke... danke... danke.“

Die nachdenkliche Filippa zog sich oft in ihr Zimmer zurück und philo-sophierte über den Sinn des Lebens. In ihrem Tagebuch heißt es: „Wie schön das Leben sein kann und ist und wie schön man das Leben machen kann, wie man es anderen schön machen kann, jeden Tag wenigstens einem Menschen eine Freude machen, sagte Nietzsche schon, not so dumm.“

Dieses Zitat war Filippa sehr wichtig, sie hatte es auf einen kleinen, gelben Notizzettel geschrieben und neben ihr Bett geklebt


Obwohl Filippa ungeheuer lebenslustig war, sich, gerade frisch verlobt, auf die gemeinsame Zukunft mit Vittorio freute und viel vorgenommen hatte („Ich will den Rest meiner Zeit mit ihm verbringen, unser Leben leben, Kinder, unsere Kinder bekommen, aufwachsen sehen, formen, lieben...“), dachte sie auch über den Tod nach. Sie fürchtete ihn nicht, nannte es sogar „nach Hause gehen“. Sie beschrieb in ihrem Tagebuch ihr Grab, wollte, dass man an diesem Ort verweilen, beten und auch feiern sollte.

 

Sie wollte jedoch noch mehr. Sie schrieb: „Noch weiß ich nicht, wann ich gehe. Gehe ich bald, so wisst, dass ich euch alle liebe und sicher unendlich vermissen werde. Ich wollte immer alles gut und recht machen, hab’s oft nicht geschafft. Schafft ihr es gemeinsam für mich, mit mir.“

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Ihre Vision, Unsere Mission

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Anderen eine Freude machen und Gutes tun, das erwähnte Filippa immer wieder. Der Satz: „Schafft ihr es gemeinsam für mich, mit mir“ war einer der Gründe für uns, die Stiftung „Filippas Engel“ ins Leben zu rufen. Und welchen Zweck sollte die Stiftung haben? Auch da fanden wir eine Antwort Filippas, übrigens ein Zitat Don Boscos: „Also, auf! ‚Gutes tun, fröhlich sein, und die Spatzen pfeifen lassen‘, ja, auch wenn es menschliche Stärke verlangt und sehr anstrengend und manchmal gar nicht lustig ist, ja, auch dann diese Spatzen pfeifen lassen.“

 

Eine ganz besondere Schwester.

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- Auszüge aus einer Rede von Alexandra Gräfin Hunyady, anlässlich der Preisverleihung von "Filippas Engel" 2004

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